Bonn, 12.04.2019: Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz e. V. (DVD) hat mit größtem Befremden einen Bundesrats-Antrag der Niedersächsischen Landesregierung zur Kenntnis genommen, in dem diese fordert, im Interesse der „Entlastung von kleinen und mittleren Unternehmen von zusätzlichen Bürokratiekosten“ die Pflicht zur Benennung von Datenschutzbeauftragten aufzuweichen und eingetragene Vereine mit überwiegend ehrenamtlich Tätigen von dieser Pflicht möglicherweise völlig auszunehmen. Außerdem sollen die Fristen zur Benachrichtigung von Datenschutzverletzungen verlängert, die Abmahnmöglichkeit von Datenschutzverstößen ausgeschlossen sowie die Nutzung von Echtdaten für „Erprobungs- und Testzwecke“ generell erlaubt werden (BR-Drucksache. 144/19 vom 03.04.2019).
Pressemitteilung als PDF-Datei – Bundesratsantrag
Angesichts dieses Antrags stellt sich die DVD die Frage, ob die niedersächsische Landesregierung bereits im Informationszeitalter angekommen ist: Seit dem Wirksamwerden der europaweit geltenden Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) im Mai 2018 startet sie einen Angriff auf den Datenschutz nach dem nächsten: So erließ sie ein Landesdatenschutzrecht, das die hochsensible Datenverarbeitung durch Strafverfolger von der Datenschutzkontrolle „befreit“, was unzweifelhaft gegen deutsches Verfassungsrecht sowie gegen Europarecht verstößt.
Mit der aktuellen Initiative will die Landesregierung das Datenschutzrecht ins vorherige Jahrhundert zurückversetzen. Tatsächlich gilt der derzeit gültige Vorrang der Selbstkontrolle beim Datenschutz in Deutschland schon seit Jahrzehnten und hat sich bewährt. Es gibt wohl keine mittelständischen Unternehmen und keine Vereine, die heute nicht im Internet präsent sind und mindestens deshalb Grundwissen über den Datenschutz vorhalten müssen. Wenn dort keine Datenschutzbeauftragten beratend und überwachend tätig werden, gibt es erfahrungsgemäß nur selten die notwendige Kompetenz.
Frank Spaeing, Vorsitzender der DVD: „Die Pflicht abzuschaffen, Datenschutzbeauftragte zu benennen entlastet die KMU und Vereine nur scheinbar. Denn keine der diversen Pflichten, die die DSGVO (zurecht) Verantwortlichen auferlegt, wird dadurch wegrationalisiert. Einzig die Fachkompetenz, die durch Datenschutzbeauftragte üblicherweise bei Verantwortlichen Einzug hält, verschwindet. Zudem gab es die meisten Pflichten, die durch die DSGVO jetzt so viel Prominenz erfahren haben, schon seit vielen Jahren. Nur wurden sie geflissentlich durch die Verantwortlichen ignoriert und auch durch die drastisch unterbesetzten Aufsichtsbehörden regelmäßig nicht im nötigen Umfang geahndet. Die Landesregierung schreibt im Entwurf zurecht, dass zu viel Rechtsunsicherheit besteht. Den Verantwortlichen nun auch noch die Kompetenz, die sie durch Datenschutzbeauftragte bekommen können, wegzunehmen, ist aber der falsche Weg. Besser wäre es, die Aufsichtsbehörden so auszustatten, dass sie wirksam in der Breite unterstützen können.“
Riko Pieper, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der DVD: „Die Benennung eines Datenschutzbeauftragten ist nicht Bürokratie, sondern Selbstschutz. Diese Aufgabe kann von einem Mitarbeiter oder einem Ehrenamtlichen wahrgenommen werden; die nötigen Kompetenzen können im Rahmen von ohnehin nötigen Fortbildungen erworben werden. Ohne sie begibt sich ein Vorstand oder eine Unternehmensleitung in ein unkalkulierbares Existenzrisiko.“
Werner Hülsmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der DVD, ergänzt: „Der Niedersachsen-Antrag zeugt von einer erschreckenden Grundrechte-Ignoranz der
aktuellen Landesregierung. Sie hat offenbar noch nicht gemerkt, dass angesichts der zunehmenden Digitalisierung in Verwaltung, Wirtschaft und im Alltag Schutzvorkehrungen getroffen werden müssen. Diese sind im bestehenden Datenschutzrecht vorgesehen und erweisen sich weltweit als Vorbild. Die Landesregierung will offenbar, dass Deutschland bei der Digitalisierung weiter den Anschluss verliert. Dazu darf man es nicht kommen lassen. Nur wenn die Bevölkerung darauf vertrauen kann, dass ihre Daten bei den Unternehmen in guten Händen sind – und dazu ist die Umsetzung des Datenschutzes erforderlich, ist eine ausreichende Akzeptanz der Digitalisierung zu erwarten.“