Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am morgigen Dienstag (20. November) über Verfassungsbeschwerden gegen den verdachtslosen Abgleich von Kfz-Kennzeichen mit polizeilichen Fahndungsdateien. Die Beschwerden richten sich gegen das hessische und das schleswig-holsteinische Polizeigesetz, die beide den dauerhaften Einsatz automatischer Kennzeichenlesegeräte erlauben, um Fahrzeuge zu melden, nach denen gefahndet wird. Zur Fahndung ausgeschrieben sind zurzeit 2,8 Mio. Fahrzeuge. Es handelt sich vor allem um gestohlene und unversicherte Fahrzeuge.
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Die Beschwerdeführer bemängeln, dass der automatisierte Kfz-Kennzeichenabgleich ungezielt und ohne Anlass erfolgt. Ein solches massenhaftes Stochern im Nebel behandelt jeden Autofahrer wie einen potenziellen Straftäter und legt den Grundstein für einen immer umfangreicheren maschinellen Abgleich der Bevölkerung mit polizeilichen Datenbanken. Konkrete mit den Geräten erzielte Erfolge sind kaum zu vermelden. Vielmehr ist die Zahl gestohlener Kraftfahrzeuge zwischen 1993 und 2006 auch ohne Kfz-Massenabgleich um 83% zurückgegangen. Im praktischen Einsatz sind bis zu 40% der gemeldeten „Treffer“ fehlerhaft. Die schon heute eingesetzten Geräte sind in der Lage, pro Stunde mehrere tausend Fahrzeuge informationell abzugleichen. Auch wenn die Polizei versichert, sie habe kein Interesse an den Daten der Verkehrsteilnehmer, für die keine Fahndungsnotierung vorliegt, so werden zunächst doch alle Verkehrsteilnehmer durchgesiebt. Die Beschwerdeführer haben kein Vertrauen, dass nicht doch schon in naher Zukunft, wie es gegenwärtig mit dem Mautsystem Toll-Collect zu erleben ist, die Bewegungsdaten aller Verkehrsteilnehmer aufgezeichnet und Bewegungsprofile erstellt werden. Die Beschwerdeführer bemängeln auch, dass nur wenig Transparenz darüber besteht, wer in den polizeilichen Fahndungsdateien gespeichert ist.
Allein durch die Möglichkeit automatischer Verkehrsüberwachung wird nach Ansicht der Beschwerdeführer psychischer Druck erzeugt, der geeignet ist, die allgemeine Handlungs- und Bewegungsfreiheit zu beschränken.Zur Rasterfahndung nach dem 11. September 2001 urteilte das Bundesverfassungsgericht im letzten Jahr: „Insbesondere lässt die Verfassung grundrechtseingreifende Ermittlungen ‚ins Blaue hinein‘ nicht zu“. Die Beschwerdeführer halten nichts von einem systematischen Massenabgleich von Kfz-Kennzeichen für eine solche Ermittlung „ins Blaue hinein“. Der Kfz-Kennzeichenabgleich stellt ihrer Ansicht nach im Kern einen Präzedenzfall einer allgemeinen, vorsorglichen Überwachung der Bevölkerung dar. Erlaubte man eine generelle, verdachtslose Kennzeichenüberwachung, dann würde der Überwachung der gesamten Bevölkerung durch permanenten Abgleich mit allein polizeilichen Fahndungsdateien der Weg eröffnet, etwa einer automatischen Überprüfung aller Inhaber eingeschalteter Mobiltelefone, einer permanenten, kontaktlosen Fahndung anhand von RFID-Chips in mitgeführten Ausweispapieren oder einer generellen biometrischen Gesichtserkennung an jeder Straßenecke.
Die Beschwerdeführer, die durch Freiburger Datenschutzexperten und Rechtsanwalt Dr. Kauß vertreten werden, wollen einen massenhaften Kfz-Kennzeichenabgleich nur im Einzelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben und nur mit richterlicher Genehmigung hinnehmen.