EU will bis zu drei Jahre im Nachhinein wissen, wer wann mit wem und womit telefoniert, gesimst oder gemailt hat und wer wann wie lange welche Internetseiten aufgerufen hat.
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Wenn es nach dem Willen von Großbritannien, Irland, Spanien und Frankreich geht, sollen alle Telekommunikationsgesellschaften und Internetprovider in den EU-Staaten verpflichtet werden, die Verkehrsdaten aller Telekommunikationsvorgänge und Internetnutzungen aller Kundinnen und Kunden für mindestens 12 und bis zu 36 Monate zu speichern. Bisher dürfen in Deutschland ohne besondere Verdachtsmomente nur die Abrechnungsdaten für bis zu sechs Monaten nach Rechnungsversand gespeichert werden. Mit der geplanten Neuregelung würden die Telekommunikations-Verkehrsdaten von 450 Millionen Menschen in der EU für mindestens 12 Monate gespeichert, weil nicht auszuschließen sei, dass unter Ausnutzung von Telefon, SMS, MMS, E-Mail und Internet Straftaten begangen werden.
Werner Hülsmann, Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD) e.V. und des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e.V. erklärt zu diesen Plänen: „Die in dem Entwurf vorgeschlagenen Regelungen verstoßen nicht nur gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und damit gegen das Grundgesetz. So hat bereits 1983 das Bundesverfassungsgericht eine solche Vorratsdatenspeicherung als verfassungswidrig bezeichnet. Diese Regelungen sind auch nicht mit Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu vereinbaren.“
Im Telefonbereich soll nicht nur gespeichert werden, von welchem Anschluss aus mit welcher Nummer wann und wie lange angerufen wird, es soll auch erfasst werden, mit welcher Art von Endgerät der Anruf erfolgte. Bei Handys soll auch der jeweilige Standort erfasst werden. Ebenso soll gespeichert werden, wer wann wem in welchem Umfang Kurz- und Multimediamitteilungen (SMS, MMS) gesandt hat. Auch bei E-Mails soll erfasst werden, wer wann wem welche E-Mail gesandt hat. Im Internet sollen die Provider auf Vorrat speichern, wer sich wann wie lange auf welcher Internetseite aufgehalten hat.
Mit Hilfe dieser Daten lassen sich sehr sensible Persönlichkeitsprofile erzeugen. Anrufe bei einem Arzt oder einer Beratungsstelle, Aufrufe von Websites von Selbsthilfegruppen lassen tiefe SchlüssWeitere unterstützende Organisationen:e auf gesundheitliche oder soziale Probleme zu. Auch wenn diese Daten auf richterlichen Beschluss den Strafverfolgungsbehörden übermittelt werden sollten, ist ein Missbrauch nicht auszuschließen.
Dass diese Vorratsdatenspeicherung weder erforderlich noch zweckmäßig ist, sondern in erster Linie die unbescholtenen Bürgerinnen und Bürger trifft, ergibt sich bereits daraus, dass es für den Internationalen Terrorismus und die Organisierte Kriminalität mit etwas technischem Sachverstand und Aufwand leicht möglich ist, diese Regelungen zu umgehen; so können z.B. Spuren durch Austausch von Handykarten oder über die Manipulation der Identifikationsnummern von Handys und anderen Endgeräten verwischt werden.
In der Frage der Vorratsdatenspeicherung sind sich FIfF e.V. und DVD e.V. mit dem Bundesverband der Industrie (BDI), dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), aber auch den Verbänden der Telefongesellschaften und Internetprovider einig: Eine Vorratsdatenspeicherung aller TK-Verkehrsdaten führt nicht zu mehr Sicherheit und auch nicht zu einer höheren Aufklärungsquote von Straftaten, sondern nur zu deutlich höheren Kosten für Telekommunikations- und Internetdienstleistungen.
Diplom-Informatiker Werner Hülsmann erklärt hierzu: „Die Aussage der Vertreterin der Französischen Strafverfolgungsbehörden anlässlich eines öffentlichen EU-Workshops zu diesen Plänen lässt sich mit einem Satz zusammenfassen: Wir wissen nicht so genau, welche der TK-Verkehrsdaten wir für unsere Ermittlungen brauchen, daher wollen wir alle haben. Und weil unsere Ermittlungen so lange dauern, wollen wir diese Daten so lange wie möglich zur Verfügung haben. Selbst ein Kritiker hätte die Unverhältnismäßigkeit dieser Maßnahme nicht deutlicher darstellen können.“ Dabei geht es nicht nur um die Daten von Verdächtigen, sondern um die TK-Verkehrsdaten aller 450 Millionen Menschen, die in der EU leben, unabhängig von etwaigen Verdachtsmomenten.Weitere unterstützende Organisationen:
Die immensen Kosten für die unnötige Vorratsdatenspeicherung – Fachverbände beziffern sie auf zwei bis dreistellige Millionenbeträge pro Dienstleister – werden wohl kaum von den EU-Staaten getragen werden, sondern – wie es zumindest in Deutschland im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung geregelt ist – von den Providern und Telekommunikationsdienstleistern. Diese Kosten werden schlussendlich über höhere Preise an die Kunden weitergegeben. Auch die Entwicklung der Informationsgesellschaft würde bei Übernahme der Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung gebremst. Projekte und Initiativen für offene Internetzugänge, wie sie sich nicht nur in Deutschland vielfältig entwickeln, würden unmöglich gemacht, da die Kosten für die Vorratsdatenspeicherung von vielen privaten Initiativen und Gewerbetreibenden nicht getragen werden können.
Die Bürger und Bürgerinnen Europas sollen durch höhere Preise für Telefonieren, Simsen und Internetnutzung die Kosten für die völlig überzogene und unnötige umfassende und langfristige Speicherung ihrer Verkehrsdaten aufkommen. Sie werden also nicht nur in ihrem Grundrecht auf unbeobachtete Kommunikation in unzulässiger Weise eingeschränkt, sondern müssen diesen Eingriff auch noch selbst bezahlen.
Werner Hülsmann erklärt abschließend: „Noch ist es nicht zu spät diese Pläne zu verhindern, die nicht zu mehr Sicherheit, aber zu mehr Überwachung führen werden. Alle demokratischen Kräfte sind aufgefordert, weitere Schritte in Richtung Überwachungsstaat zu verhindern.“
Weitere unterstützende Organisationen:
Chaos Computer Club – Jan Krissler (www.ccc.de)
Der Große Bruder – Peter Ulber, Vorstandsmitglied (www.dergrossebruder.org)
Electronic Frontier Finland ry – Ville Oksanen, Chairman (www.EFFI.org)
FoeBuD e.V.- Rena Tangens und padeluun (www.foebud.de)
Humanistische Union e.V. – Reinhard Mokros, Bundesvorsitzender (www.humanistische-union.de)
Internationale Liga für Menschenrechte – Dr. Rolf Gössner, Präsident (www.ilmr.org)
Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e.V. – Martina Kant, Vorstandsmitglied (www.cilip.de)
Netzwerk Neue Medien e.V. – Markus Beckedahl, Vorsitzender (www.nnm-ev.de)
Privacy Ukraine – Andriy Pazyuk (www.internetrights.org.ua)
Quintessenz (http://www.quintessenz.at)
Statewatch – Tony Bunyan (www.statewatch.org)
STOP1984 – Bettina Winsemann (www.stop1984.com)
The Center for Democracy and Technology, Jim Dempsey Executive Director (www.cdt.org)
The Multiracial Activist – James Landrith (www.multiracial.com)