Zum Inhalt springen

Bundesregierung nummeriert Bürgerinnen und Bürger – Datenschützer warnen vor Personenkennziffer

Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD) fordert eine öffentliche Debatte über ein fast schon beschlossenes Gesetz, das eine zentrale Registrierung und Nummerierung der gesamten Deutschen Bevölkerung beim „Bundesamt für Finanzen“ vorsieht. Am 27.11.2003 beschloss der CDU-dominierte Bundesrat eine Vorlage der rot-grünen Bundesregierung mit dem harmlosen Namen „Steueränderungsgesetz 2003“. Dahinter verstecken sich nicht nur Steueränderungen oder der Abbau von bisherigen Abschreibungsmöglichkeiten, sondern auch ein datenschutzrechtlicher Quantensprung: Jede Bürgerin und jeder Bürger erhält dann eine eindeutige Identifikationsnummer, die gemeinsam mit weiteren Daten zentral gespeichert und genutzt werden soll.
Pressemitteilung als PDF-Datei

Als Rechtfertigung wird die „Steuergerechtigkeit“ herangezogen. Statt dieses Ziel aber durch den Abbau von Vollzugsdefiziten, die Bekämpfung von Steuerkriminalität oder durch eine andere Gestaltung der Steuersätze anzustreben, geht es hier um etwas anderes: um die Totalerfassung der Bevölkerung. Die dabei vorgesehene zentrale Nummerierung stellt den Beginn einer lückenlosen Bevölkerungskontrolle zumindest im Steuer- und Wirtschaftsbereich dar. Das Schutzgut des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wird in dem Entwurf nur am Rande erwähnt. Eine Diskussion darüber hat noch nicht einmal in Fachkreisen stattgefunden. Die Bedenken des Bundesbeauftragten für den Datenschutz wurden von ihm selbst „zurückgestellt“. Die Erforderlichkeit, geschweige denn die Verhältnismäßigkeit einer zentralen Identifikationsnummer wurde nicht begründet. Die Versuche des Gesetzestextes, die Zweckbindung der Nummern zu sichern, scheinen schon vom Ansatz her zum Scheitern verurteilt. Daher fordert die Deutsche Vereinigung für Datenschutz einen Stopp des Gesetzgebungsverfahrens und eine gesellschaftliche Debatte.

Hintergrundinformationen

Der Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen für das „Steueränderungsgesetz 2003“ vom 23.09.vg. www.aktiv.org/DVD/Pressemitteilungen/start.html2003 (BT-Drs. 15/1562) sah zunächst „nur“ eine zentrale Speicherung von wenigen Daten für Lohnsteuerzwecke vor. In einem Änderungsantrag der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 30.10.2003 (Umdruck Nr. 29) wird nunmehr eine Novellierung der Abgabenordnung (§§ 139a-139d AO) vorgesehen, die die zentrale Speicherung und Nutzung eines umfangreicheren Meldedatensatzes für sämtliche Steuerbereiche beinhaltet.

Geplant ist nun eine zentrale Speicherung aller Menschen in Deutschland, vom Kleinkind bis zum Greis beim „Bundesamt für Finanzen“. Die Daten, sämtliche Namen und Namensteile, Adresse, Geburtsangaben und Geschlecht, werden von den kommunalen Melderegistern regelmäßig angeliefert. Jede Person erhält daraufhin eine – ebenso zentral gespeicherte – eindeutige „Identifikationsnummer“ (ID, Electronic Typayer Identification Number – ETIN) sowie evtl. weitere „Wirtschaftsidentifikationsnummern“ (Wirtschafts-ID). Zweck dieser Daten ist es, „den Finanzbehörden die Erfüllung (ihrer) Aufgaben zu ermöglichen“. Während die Identifikationsnummern (IDs) – vorläufig – nur für diese Zwecke genutzt werden dürfen, können die damit verknüpften Wirtschafts-IDs von allen privaten oder öffentlichen Stellen – im Rahmen der Erforderlichkeit – genutzt werden. Die Wirtschafts-IDs werden jeder wirtschaftlich selbständigen Einheit vergeben, vom Privathaushalt, der eine Hilfskraft einsetzt, über den Einzelhandelskaufmann und den selbständigen Arztvg. www.aktiv.org/DVD/Pressemitteilungen/start.html oder Rechtsanwalt bis hin zu global operierenden Aktiengesellschaften. Die Wirtschafts-ID wird derzeit in Bayern erprobt, wobei diese Nummer auch von der Gewerbeaufsicht, von Sozialleistungsträgern, z.B. von Berufsgenossenschaften oder Krankenversicherungen, und von Kammern genutzt werden soll. Trotz entsprechender Forderung erfolgte bisher keine Evaluierung der Erprobung aus Sicht des Datenschutzes (vgl. Weichert, Die Wiederbelebung des Personenkennzeichens – insbesondere am Beispiel der Einführung einer einheitlichen Wirtschaftsnummer, Recht der Datenverarbeitung 2002, 170-177).

In den Einzelbegründungen zu dem Entwurf wird dargelegt, die Daten unterlägen einer „strikten Zweckbindung“. Die allgemeinen Zweckänderungsvorschriften (§§ 14-16 Bundesdatenschutzgesetz – BDSG) seien nicht anwendbar. Dies hat aber keine nennenswerte Bedeutung. Eine Nutzung der IDs auf Grund spezialgesetzlicher Regelungen dürfte erlaubt sein. Dies gilt insbesondere für sämtliche Zweckänderungsvorschriften des Sicherheitsrechtes – von der Strafprozessordnung über die Polizeigesetze bis hin zu den Geheimdienstgesetzen. Eine andere Interpretation – die der Bundesbeauftragte für den Datenschutz jüngst im Hinblick auf die LKW-Maut-Daten bei TollCollect vortrug und die sofort von der Rechtsprechung verworfen wurde (siehe dazu gemeinsame Presseeklärung der DVD und anderer  Bürgerrechtsorganisationen vom 05.11.2003) – dürfte sich auch hier nicht durchsetzen lassen.

Aus den Gesetzgebungsunterlagen ergibt sich nicht annäherungsweise, weshalb und wie mit Hilfe der neuen IDs eine gerechtere Besteuerung erreicht werden soll. Eine zentrale Nummerierung für Steuerzwecke dürfte nur dann begründbar sein, wenn eine bundesweite Datenzusammenführung für Besteuerungszwecke erfolgen muss. Tatsächlich handelt es sich aber bei fast sämtlichen heute erhobenen Steuern um dezentrale Steuern, bei denen es auf einen bundesweiten Datenabgleich nicht ankommt.

In dem Entwurf werden nicht die Risiken angesprochen geschweige denn – wie verfassungsrechtlich geboten – abgewogen, die mit einer zentralen Nummerierung verbunden sind. Das Bundesverfassungsgericht hat schon 1969 das Erstellen von „teilweisen oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsprofilen, ohne dass der Betroffene deren Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann“ mit Hilfe von Personenkennzeichen (PKZ) für verfassungswidrig erklärt. Nach der Wiedervereinigung wurde die in den DDR praktizierte zentrale Melderegistrierung und die Erfassung der Bevölkerung mit eindeutigen PKZ wegen deren Verfassungswidrigkeit nach bundesdeutschem Recht abgeschafft.

Abgesehen von der o.g. „strikten“ Zweckbindung sind bisher vom Gesetzgeber keine Schutzvorschriften zur Verhinderung der Nutzung der IDs für das Zusammenführen von Dateien vorgesehen. Nicht einmal das Erwähnen einer Sanktionsvorschrift bei Verstoß gegen die Zweckbindung wurde für nötig angesehen. Aber auch die Zweckbindung ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Nicht nur bei den Meldebehörden wird zur eindeutigen Identifizierung die ID gespeichert werden. Auch private Kommunikationspartner der Finanzbehörden (Arbeitgeber, Auftraggeber) werden die ID zur eindeutigen Zuordnung von Daten zu Steuervorgängen verwenden. Wie die Nutzung dieser Daten dann im Wirtschaftsleben aufgehalten werden soll, darüber hat sich der Gesetzgeber erkennbar bisher keine Gedanken gemacht. Aus der Sicht der Praxis besteht derzeit kaum eine Chance einer Eingrenzung. Offensichtlich geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Nummerierung der deutschen Bevölkerung in Bälde weiter vorangetrieben wird. Überlegungen hierzu gibt es genug: von der bundesweiten Erfassung aller Menschen mit ihrem genetischen Fingerabdruck bis hin zur zentralen Erfassung von biometrischen Merkmalen wie Fingerabdruck oder Gesichtsprofil.