Die NRW-SPD-Führung bekundet in einem Positionspapier zu den gegenwärtig stattfindenden Koalitionsgesprächen in Düsseldorf ihre Absicht, „die landesgesetzlichen Voraussetzungen für einen breiteren Einsatz von Videoüberwachung, Rasterfahndung und des Platzverweises [zu] schaffen und den Vorgaben der Rechtsprechung anzupassen.“
Hierzu erklären die Unterzeichner:
Pressemitteilung als PDF-Datei
Die von der SPD-Führung geplanten erheblichen Verschärfungen polizeilicher Grundrechtseingriffe – insbesondere der Videoüberwachung und der Rasterfahndung – sind unverhältnismäßig und verletzen die Grundrechte zahlloser unbescholtener Bürgerinnen und Bürger, ohne einen Beitrag zur Verbesserung der Kriminalitätsprävention zu leisten.
1. Zur geplanten Erweiterung der Videoüberwachung, § 15 a PolG NRW
Die Überwachung öffentlicher Plätze mittels Videokameras ist ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte praktisch ausnahmslos unbescholtener Bürgerinnen und Bürger. Bereits das Vorhandensein der Kameras ist wegen der durch sie hervorgerufenen Unsicherheit, ob ein Verhalten behördlich registriert wird, einen Grundrechtseingriff. Durch die Kameras und die damit verbundene öffentliche Beobachtung wird Konformitätsdruck erzeugt, der geeignet ist, die Bürgerinnen und Bürger von der Ausübung ihrer Grundrechte, z.B. von der Teilnahme an Versammlungen, abzuhalten.
Nach den Plänen der SPD soll die Videoüberwachung nunmehr nahezu schrankenlos ermöglicht werden. Die Beschränkung auf „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ wird aufgegeben.
Die Videoüberwachung öffentlicher Plätze und insbesondere der Innenstädte breitet sich in Deutschland aus wie ein Ölteppich (Leipzig, Mannheim, Stuttgart, Dresden, Berlin, Frankfurt, Freiburg, Halle, Hamburg, Kassel, Köln, Magdeburg, Regensburg). Die Realisierung der Pläne der SPD-Führung würden dieser Entwicklung den Weg nach NRW ebnen.
Es gibt keinen Beleg für den behaupteten Nutzen dieser Maßnahme zur Verringerung der Kriminalität. Eine im Auftrag der Regierung von Großbritannien – dem Land mit der weltweit höchsten Videoüberwachungsdichte – erstellte wissenschaftliche Studie (NACRO) kommt zu dem Ergebnis, dass die Videoüberwachung zu keinem signifikanten Rückgang der Kriminalität geführt hat. Die Anbringung einer verbesserten Straßenbeleuchtung trage zur Kriminalitätsverhütung mehr bei als diese grundrechtsbeeinträchtigende Maßnahme.
Ebenso erfolglos verlief auch der inzwischen abgebrochene Modellversuch einer Videoüberwachung in Bielefeld (vgl. z.B. Presseerklärung des FoeBuD, Bielefeld, vom 18.07.2002; Presseerklärung B90 /Die Grünen, Kreisverband Bielefeld vom 18.07.2002).
Die Videoüberwachung ist nicht zur Kriminalitätsvorbeugung geeignet, wohl aber dazu, etwa soziale Randgruppen aus den Innenstädten zu vertreiben. Das kann aber kein legitimes Ziel sozialer und demokratischer Politik sein.
2. Zur geplanten Erweiterung der Rasterfahndung, § 31 PolG NRW
Die Rasterfahndung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte zahlloser Unschuldiger und Unverdächtiger dar. Allein in NRW wurden im Zuge der polizeilichen Rasterfahndung nach dem 11. September 2001 die Daten von 5 Mio. (!) Männern erhoben. Trotz dieser enormen Grundrechtseingriffe hat diese Maßnahme selbst bundesweit in keinem einzigen Fall zu einem Fahndungserfolg geführt. Es ist unverständlich, warum die SPD dieses ineffiziente, ungeheuer teure und aufwändige polizeiliche Mittel nunmehr auch noch ausweiten will. Die SPD-Führung scheint für symbolische, aber grundrechtsbeeinträchtigende Maßnahmen trotz angespannter Haushaltslage kein Preis zu hoch zu sein.
3. „Vorgaben der Rechtsprechung“?
Unzutreffend ist es, wenn die SPD-Spitze behauptet, die von ihr geplanten Verschärfungen des Polizeigesetzes stellten eine „Anpassung an Vorgaben der Rechtsprechung dar.“ Richtig ist vielmehr, dass Gerichte (namentlich das OLG Düsseldorf und das OLG Frankfurt) die Rasterfahndung weitgehend für rechtswidrig erklärt haben. Das Vorgehen der SPD dient nicht der „Anpassung an Vorgaben“, sondern ist der Versuch, die gerichtliche Kontrolle künftig durch die Streichung einschränkender Voraussetzungen auszuschalten.
Die wirklichen „Vorgaben der Rechtsprechung“ lauten dagegen wie folgt: „Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Grundrechte dürfen als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat nur soweit beschränkt werden, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist.“ (Bundesverfassungsgericht, Amtl. Sammlung, Band 65, S. 44).
Von der Beachtung dieser Vorgaben verabschiedet sich die SPD-Spitze durch die beabsichtigte Streichung nahezu sämtlicher einschränkender Voraussetzungen der genannten Grundrechtseingriffe. Eine rationale Kriminalpolitik wird hier durch „populistisches Fuchteln mit untauglichen Instrumenten“ ersetzt, wie die Humanistische Union in ihrer Pressemitteilung vom 15.01.2003 mit Recht feststellt.
Die Position der SPD-Spitze widerspricht zudem dem Beschluss der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen vom 09.04.2003, die das Gesetzesvorhaben ausdrücklich abgelehnt hat.
Die Pläne der SPD widersprechen dem Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen vom 23.05.2003 in Düsseldorf, die sich mit 2/3-Mehrheit ebenfalls ausdrücklich gegen die geplante Gesetzesänderung ausgesprochen hat.
Im übrigen hat sich nicht nur die Landesbeauftragte für den Datenschutz mehrfach und ausdrücklich gegen dieses Vorhaben gewandt, es stieß in einer Anhörung vor dem Innenausschuss (am 16.1.2003) auch bei zahlreichen Sachverständigen auf Kritik.
Wir fordern daher die Vertreter der Grünen wie der SPD in den Koalitionsgesprächen für NRW auf, sich den undurchdachten und populistischen Vorschlägen zu verweigern und für die Bewahrung der Bürgerrechte einzutreten.
Erstunterzeichner/innen:
- Rena Tangens & padeluun, FoeBuD e.V., Bielefeld, Big Brother Awards Deutschland
- Dr. Thilo Weichert, Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD)
- Nils Leopold, Bundesgeschäftsführer Humanistische Union
- Prof. Dr. Hans Lisken, Düsseldorf
- Dr. Helmut Pollähne, Bremer Institut für Kriminalpolitik
- RA Dr. Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Berlin
- Dr. Holger Niehaus, Wilhelm Achelpöhler und Carsten Peters, AG Demokratie und Recht, B90/DieGrünen (Kreisverband Münster)
- Klaus Rees, Fraktionsgeschäftsführer B90/Die Grünen, Bielefeld
- Thomas Marczinkowski, Fraktionsgeschäftsführer B90/Die Grünen, Münster
(und weitere – dies ist eine vorläufige Auflistung und wird noch ergänzt werden!)